Tiergeschichten
Dr. Katharina Heuberger
Unser Erlebnis mit Biberdame Bockerta
Dr. Katarina Heuberger
Am 6. April 2021 wurde uns von der Tierrettung Deggendorf im Auftrag des Landratsamts Landshut
eine schwer verletzte Biberdame gebracht.
Als das erwachsene Tier bei uns angeliefert wurde, war
die geruchliche Belastung recht ausgeprägt, das Tier hatte schwere infizierte Bissverletzungen auf
beiden Brustseiten und dem kompletten Rückenareal – zum Teil war hier die Haut handtellergroß
unterminiert und die entstandenen Taschen mit stinkendem Eiter gefüllt.
Das Tier selbst war völlig
passiv und zeigte kaum Reaktionen auf unsere Manipulation.
Als wir das Tier zur weiteren Untersuchung auf den Untersuchungstisch hoben, fiel aus der wie eine
Kloake gestalteten Geschlechts- und Analöffnung des Tieres ein handtellergroßes Stück Schleimhaut,
das wir erst nicht zuordnen konnten – bei genauerer Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich
um Gebärmutterschleimhaut gehandelt hat, so dass man davon ausgehen kann, dass unsere
Biberdame vor kurzem auch noch Jungtiere geboren hatte – dass die Zitzen auch Milch produzierten,
bestätigte die Vermutung. Das sehr bemühte und interessierte Landratsamt Landshut gab diese
Information an den Fundort weiter, es konnten aber keine verwaisten Biberkinder gefunden werden.
Bei unserer Biberdame stand nun eine schwere Entscheidung an, die wir insofern abkürzten, dass wir
sie umgehend in Narkose legten, allein schon um ihr die Schmerzen zu nehmen – um dann weiter zu
entscheiden, ob wir umgehend einschläfern sollten oder doch versuchen sollten die unfassbar
schweren Wunden zu reinigen und einen Ausheilungsversuch zu wagen – noch dazu bei einem so
wehrhaften Tier wie einem Biber...
Da sie ja nun ohnehin in Narkose lag, begannen wir die Wunden zu reinigen –auch wenn diese
Aufgabe fast zwei Stunden sehr geruchsintensive und unangenehme Arbeit bedeutete und es völlig
unklar war, ob bei so schweren infizierten Verletzungen überhaupt auch nur eine Chance für das
Überleben des Tieres bestand.
Als die Wundreinigung geschafft war, sah die Brustwand beidseits allerdings noch mehr nach einem
Schlachtfeld aus, da auch die nekrotischen Wundränder entfernt werden mussten und nach
Entfernung des Eiters das rote Wundfleisch deutlich leuchtend zutage trat.
Bockerta aber erwachte nach drei Stunden aus der Narkose, nach insgesamt zwei Litern Infusion und
einem ausreichenden Pegel Antibiotikum, und während wir uns noch fragten, ob wir ihr damit nicht
das größere Leid angetan hatten, begann sie sich recht schnell zu berappeln und wirkte zwar weiter
reduziert, aber sonst nicht panisch oder schmerzgequält.
Die nächsten Tage waren erfüllt von Sorge und der ständigen Frage, ob es die richtige Entscheidung
gewesen war, sie am Leben zu lassen – Bockerta allerdings begann recht schnell diese Frage für sich
zu beantworten, denn sie ließ mit unglaublichem Sanftmut die täglichen
Wundreinigungsporozeduren über sich ergehen und begann schon am zweiten Tag mit vorsichtiger
Nahrungsaufnahme.
Da die Sorge vor Fliegenkontakt unser größtes Thema war, wohnte sie zu dieser
Zeit in einer eigens für sie zusammengezimmerten Wanne, deren Deckel allerdings meistens offen
gelassen wurde, da sich Bockerta auch hier von sehr umgänglicher Seite zeigte und keinerlei
Tendenzen hatte diese Wohnhöhle zu verlassen. Und so vergingen die ersten zwei Wochen mit
Wundspülungen, Infusionen, antibiotischer Behandlung und der ständigen Sorge, wie das
empfindliche Verdauungssystem des Bibers mit diesem Beschuss klarkommen würde.
Da sich ihr Nahrungsspektrum täglich erweiterte, sie viel Rohfaser und Weidenäste neben Karotten und Äpfeln
zu sich nahm, schaffte sie es aber irgendwie ihre Darmgesundheit zu erhalten.
Nach zwei Wochen war es dann soweit und wir wollten ihr ein erstes Bad gönnen – die einzige Möglichkeit dies
fliegenfrei zu gewährleisten, war allerdings die Badewanne im ersten Stock unseres Hauses – was
sich aber als kleinstes Problem herausstellte, denn Bockerta ließ sich – entgegen aller Erwartungen –
lammfromm von uns auf den Arm nehmen, in den ersten Stock tragen und dort in die schon gefüllte
Badewanne setzen, was sie sofort sichtlich genoss. Da sich hier in dieser Zeit allerdings auch die
Verdauung des Tieres weiter stabilisierte, wurde bei jeder Badesession dreimal mindestens das
komplette Wasser, in angenehmer Handwärme, gewechselt und sie mit der Brause abgespült. So
verbrachten wir ab diesem ersten Bad alle zwei Tage mindestens drei Stunden mit Bockerta in der
Badewanne, wobei man sie hier auch einfach allein lassen und sicher sein konnte, dass sie bei
Rückkehr noch immer schläfrig im Wasser saß. Da sowohl das Bad als auch die Wassertemperatur
ihrer noch immer geschwächten Konstitution angepasst wurden, genoss sie jeden dieser Ausflüge
sehr.
Nach fünf Wochen wurde dann deutlich, dass die Wunden abzuheilen begannen und Bockerta auch
so langsam die Wohnhöhle in der Praxis als nicht mehr ausreichend erachtete. Also begannen wir
eine große Außenvoliere bibersicher zu machen, in die sie dann umziehen durfte.
Das deutlich
größere Gehege und die ständige Möglichkeit eine Badewanne aufzusuchen gefielen ihr sehr, und
auch der Aufenthalt unter freiem Himmel und Wind und Sonne auf dem Fell taten ihr sichtlich gut. In
den kommenden Wochen der Heilung der Wunden mussten wir noch insgesamt drei Rückschläge
hinnehmen mit Wundstellen, bei denen sich in der Tiefe doch noch mal eine Infektion gebildet hatte,
aber durch aufmerksames Kontrollieren bekamen wir auch dieses Problem in den Griff. Selbst in
diesem schon fast genesenen Zustand tolerierte Bockerta unsere Nähe nicht nur, sie ließ sich auch
ausgiebig kraulen, was die unangenehmen Behandlungen auch für sie erleichterte.
Anfang Juni dann begann sie die bis dato akzeptierte Voliere gezielt zu zerlegen, die Lautstärke, die
ein Biber beim Zernagen von Brettern und Stämmen erreicht, war auch für uns überraschend, und so
war klar, dass es nun Zeit war, Bockerta wieder in die Freiheit zu entlassen.
Da Bockerta aus dem Stadtgebiet Landshut kam war der erste Plan, sie dort wieder hinzubringen,
auch da Biber monogame lebenslange Partnerschaften eingehen. In ihrem Fall aber muss man davon
ausgehen, dass auch ihr Partner nach diesem Angriff, der Bockerta so schwer verletzt hatte, das
Revier nicht halten konnte und somit dort wohl nicht mehr anzutreffen gewesen wäre – zudem wäre
der einstündige Transport des erstarkten Tieres eine Herausforderung und vorallem immenser Stress
fürs Tier geworden.
Da unser Grundstück an einen Arm der Altvils grenzt und wir auch an unseren
hier befindlichen Flüssen immer wieder Biber beobachten, aber aktuell keine feste Wohnburg in der
Nähe haben, beschlossen wir, Bockerta von unserem Grundstück über eine Auswilderungsbox einen
möglichst sanften Weg in die Freiheit zu bieten – am 9. Juni war es dann soweit – nachdem sie schon
eine Woche in der Box gewohnt und die Gerüche und Geräusche des Flusses kennengelernt hatte,
machte sich nach Öffnen der Türen auf den Weg in die Freiheit – genau so, wie wir sie erlebt hatten,
trottete sie gemächlich zum Ufer und ließ sich ins Wasser gleiten, um flussabwärts unseren Blicken zu
entschwinden.
In dieser ersten Nacht kam sie nochmal wieder um ihre Karotten und Äpfel
einzufordern, marschierte durch die Nachtkamera und ist seitdem unterwegs – wir hoffen sehr, dass
es ihr gut geht und dass sie sich an uns erinnert, wenn sie nochmal Hilfe brauchen sollte.